DER AUTOR

Der Autor - Drehbuch von Ricardo Salva
DER AUTOR DOSSIER
Auf der Bühne wird "Gefängnis des Schwei­gens" gegeben, ein Drama, das den Ge­fange­nen jedes gesprochene Wort unter­sagt. Auch Unmutsbezeugungen des zuneh­mend gelang­weilten Publikums können die Schauspieler nicht zum Sprechen bewegen. Nur einer darf ihnen vorschreiben, was sie sagen sollen: der Autor. Dieser steht nun auf der Bühne, um die aufgebrachten Zu­schauer zur Raison zu rufen. Doch anstatt dem Ensemble einen Text zu geben, fordert er totales Schweigen, auch im Zuschauer­raum, denn nur so könne das Un­aussprech­liche hörbar werden. Die Zu­schauer wollen sich das Wort nicht verbieten lassen. Da die Sicherheit des Autors nicht mehr ge­währ­leistet werden kann, muß er Schutz in der Gefängniszelle suchen. Die Schauspieler wol­len ihr Schweigen brechen, doch der Au­tor verbittet sich jegliche Einmi­schung in sein Werk. Daraufhin halten ihn die Schau­spieler in seinem Drama gefangen. App­laus. Als selbst eine Muse keine Wirkung entfal­tet, offenbart sich seine Schreibblocka­de. Die Zu­schauer wer­den zu Autoren er­nannt. Wort­führer Mar­vin übernimmt die Re­gie. Das Büh­nenbild läßt nur ein Gefängnis­drama zu. Um die Handlung in Gang zu bringen, soll ein Wär­ter eine Ge­fangene zum Oralverkehr zwin­gen. Als man den sensiblen Mimen Joseph zum Ver­gewal­tiger bestimmt, will er sich dem Zwang durch Flucht entzie­hen. Ein Schuß macht Schluß mit dem Thea­ter. Realität ist angesagt. Joseph stirbt auf der Bühne.
Postwendend wird der Mörder vor ein Ge­richt ge­stellt, dessen Organe sich aus dem Publi­kum rekrutieren. So werden die Zu­schau­er Teil des Dramas. Todesurteil. Hin­richtung. Standing Ova­tions. Der Vorhang fällt. Unter den Schau­spielern, die nun vor den Vorhang treten und sich verneigen, be­finden sich der wiederauf­erstandene Joseph und der hinge­richtete Mar­vin, der in Wahr­heit zum Ensem­ble gehört. In der Rolle als Zuschauer sollte er das Publikum zur Teil­nahme animieren, es in die Handlung inte­grieren und somit ein in­teraktives Theater­stück initiieren. Bravo-Rufe. Das Publikum be­jubelt sein eigenes Werk. En­de des Dra­mas.

Die Kamera fährt zurück und offenbart: das ge­samte Geschehen im Schauspielhaus war auf einer Kinoleinwand zu sehen. Indem sich die Kamera immer weiter zurückzieht, inte­griert sie das Kinopublikum in den Film, der hier keineswegs zuende ist. Die Zu­schauer kön­nen den Kinosaal nämlich nicht verlassen, weil die Theatermimen die Aus­gän­ge blockie­ren. Gefangen im Kinosaal sind sie gezwun­gen den Film nochmals anzusehen, in dem sie nun als sensations­lüsternes Publikum selbst eine Rolle spielen. Während der Film in einer End­losschleife läuft, versammelt sich vor dem Kino ein Polizeiaufgebot. Unvermittelt finden sich die Schauspieler in jener Gefängniszelle wie­der, in der sie von Anfang an gefangen wa­ren.