EIN HELD | A HERO

Ein Held - Drehbuch von Ricardo Salva
EIN HELD DOSSIER
Mitternacht. Frauenschreie hallen durch den U-Bahn-Schacht. Dank geistesgegenwärti­ger Fahr­gäste, die hinter den Fenstern ei­ner ein­fahrenden U-Bahn stehen und die bru­tale Ver­gewaltigung per Smartphone in virtuelle Sphä­ren streamen, kann die ganze Welt ihre Sen­sationslust befriedigen. Den Höhepunkt setzt ein Passant: Er erschießt den Vergewal­tiger aus dem Hinterhalt.

Ein klarer Fall von Notwehr, sagen die Me­dien, noch ehe die Polizei am Tatort eintrifft. Die Polizei schießt nicht ganz so schnell. Was hatte der Mann am Tatort zu suchen? Warum trug er eine Waffe? Besitzt er einen Waffen­schein? Die ganze Nation sitzt ge­bannt vor den TV-Geräten. Die ambitionierte Reporterin Melanie Max berichtet live vom Tatort und verspricht mit gebotener Betrof­fenheitsmiene die drin­gend nötigen Ant­worten auf bisher nicht ge­stellte Fragen zu liefern. War es wirklich bloß eine Vergewal­tigung? Gibt es Anzeichen für eine politisch oder religiös motivierte Tat? Sind auslän­dische Mitbürger involviert? Obschon der schreckliche Vorfall ein Todesopfer gefor­dert hat, gibt es auch Erfreuliches zu berich­ten: Die Zivilcourage des treffsicheren Bürgers ist nicht hoch genug zu schätzen.
Prominente Interview-Partner wollen ihn gleich für das Bundesverdienstkreuz nomi­nie­ren. Auch die Schaulustigen sind der Po­lizei in der Beurteilung des Falls weit vor­aus: Der Frau kann eine Mitschuld nicht abgesprochen wer­den. Was hat sie nachts, zumal in diesem Auf­zug, auf der Straße ver­loren? An den Stamm­tischen kommt man zum Schluß, daß der Täter wenn schon kein Mörder, dann je­denfalls auch kein Ausländer ist. Melanie Max kündigt derweil ein Gewinn­spiel an, in dem man wahl­weise für Notwehr oder Todesstrafe stimmen kann. Wir blen­den uns aus und war­ten lieber die Ermitt­lungsergebnisse ab.

Diese bringen denn auch Ungereimtheiten ans Licht. Aufzeichnungen der Überwa­chungska­meras zeigen, daß der Schütze dem Akt eine Weile zugesehen und erst beim Höhepunkt geschossen hat. Der Held versteht den gan­zen Wirbel nicht. Welchen Unterschied soll es ma­chen, ob er "das Schwein" ein paar Sekun­den früher oder spä­ter erledigt hat? Ungefähr 15 Jahre, er­klärt der Staatsanwalt. Im Kom­men­tar einer TV-Nachtsendung wird indes klarge­stellt, daß ein paar Sekunden hin oder her einen Bundesverdienstkreuzträger nicht zum Mör­der machen.