DIE GÄSTE | THE GUESTS

Die Gäste - Drehbuch von Ricardo Salva
Der Étoile de l'art commercial ist ein hochdo­tierter, künstlerisch jedoch bedeutungsloser Preis, der traditionell zum Jahreswechsel im Rah­men eines Maskenballs verliehen wird. Dies­jähriger Preisträger ist Norman Koon. Der öffentlichkeitsscheue Schriftsteller will die ge­sell­schaftliche Verpflichtung rasch hin­ter sich bringen, denn solche Veranstaltun­gen sind ihm zuwider. Obwohl er den Preis ablehnt und die Gäste in seiner Dankesrede brüskiert, wird er anschließend um Auto­gram­me gebe­ten und den Spitzen der Ge­sellschaft vorge­stellt. Da Nor­man nicht die geringste Lust zum Feiern, Trinken und Tanzen verspürt, muß er dazu ge­zwungen werden. Ein Ver­such, die Veranstal­tung zu verlassen, wird von einem Schwall ein­strömender Gäste un­ter­bunden. Als er auch den Hinterausgang ver­schlossen vorfin­det, beschleicht ihn all­mählich das Gefühl, daß dieser geschlossenen Gesellschaft nicht zu ent­kommen ist.

Worum sich Norman vergeblich bemüht, scheint den Gästen mühelos zu gelingen: Zwei salonfähige Damen müssen sich nur ih­rer Klei­der entledigen, um spurlos zu ver­schwin­den. Als deren Ehemänner die Be­herr­schung und darüber ihr Gesicht verlie­ren, keimt in Norman der Verdacht: Nichts würdigt diese Leute mehr herab, als sie auf ihre in­neren Werte zu redu­zieren.
Um Mitternacht bewahrheiten sich seine schlimmsten Befürchtungen: Die alkoholi­sier­ten Gäste reißen sich gegenseitig die Mas­ken vom Gesicht, ein spektakuläres Feu­erwerk er­hellt die entblößten Gesichter, das Fehlen jeglicher Gesichtszüge kommt ans Licht, und der anfänglich so harmlos er­schei­nende Mas­ken­ball entpuppt sich als Zom­bieparty: Die Gäs­te sind lediglich Hüllen, die ihre innere Lee­re mit dem Geist anderer füllen.

Daß Normans Rettungsversuche zum Schei­tern verurteilt sind, "verdankt" er nicht zu­letzt dem altbekannten Schriftstellerleiden, sich un­verständlich auszudrücken: ein schrift­lich ver­faß­ter Hilferuf kann vom Dienstperso­nal nicht entziffert werden, ein Notruf schei­tert an Sprach­barrieren, und seine Hilfe­schreie ver­hal­len ungehört. Als ihm doch noch die Flucht gelingt, setzen die Gäste alles daran, ihn nicht entkommen zu lassen.

Eine Nachtbar erweist sich als untauglicher Zu­fluchtsort. Auch hier wimmelt es von Gäs­ten, auch hier regiert der Karneval, denn er re­giert jederzeit und überall. Zwangsläufig en­det Normans Odyssee in einem vorbeizie­hen­den Karnevalszug, aus dem es kein Ent­rinnen mehr gibt: der endlose Strom der Fei­ernden tanzt unaufhaltsam auf einen Abgrund zu.