In den nächtlichen Gassen von Salvador, wo die Nachtgestalten wie Spinnen an den Hauswänden kleben, wo der Tod an allen Ecken steht, wo zwischen Leben und Überleben kein Unterschied besteht, hier sucht Vincent nach Leben, nach Gefahr, nach Unglück, und nach ihr: der Hure, die sich »Glück« zu nennen wagt. Und er sucht nach seinem Freund Jean, der dem Hörensagen nach auf dem Friedhof Quinta dos Lázaros liegt und doch zuweilen im Sergipe auftaucht. So steht Vincent Nacht für Nacht am Tresen dieser schäbigen Bar, wo sich der Abschaum der Stadt auslebt. Wenn die »Komparsen des Lebens« von ihrem Unglück erzählen, fühlt er sich ihnen nah, er leidet mit ihnen und saugt ihr Leid in sich auf, um sich Gefühle zu verschaffen, die er selbst nicht zu empfinden imstande ist, denn ihr Unglück hat mit dem seinen nicht das geringste gemein. Irgendwo da draußen, vermutet er, muß es jemanden geben, der fühlt wie er, einen Artgenossen, der sein Leiden versteht, eine verlorene Seele auf der Suche nach ihrem Spiegelbild, auf der Suche nach Nahrung, auf der Suche nach Leben.
Die schöne Consuelo kommt aus einer besseren Welt. Sie weiß selbst nicht, wie sie ihr Herz an Vincent verlor. Als ihn ein Tropenfieber niederringt, wacht sie Tag und Nacht an seinem Lager und pflegt ihn aufopferungsvoll. In ruhigen Momenten vertieft sie sich in die »Aufzeichnungen eines Vampirs«. Darin entdeckt sie die Skizze einer Frau, die zugleich lacht und weint, und durch deren Gesicht ein Riß zu gehen scheint. Eine Frau, und doch sind es zwei, Alegria und Tristeza, zwei in einer vereint, eine Schimäre, in der sich die Gegensätze einen und sie zugleich zu zerreißen drohen. Das Bildnis verstört Consuelo zutiefst, zumal sie sich darin wiedererkennt.
Als ein Unwetter auf Salvador niedergeht und ein Blitz das traurige Lächeln einer Frau im Fenster eines Busses erhellt, sieht sich Vincent erstmals mit seinem Spiegelbild konfrontiert. Fortan vergeht kein Tag, an dem er nicht unter den Wartenden an der Bushaltestelle steht und in den Bussen nach der Frau mit dem regnerischen Lächeln Ausschau hält. Doch auf der Suche nach ihr wird er immerzu auf sich selbst zurückgeworfen, und er zweifelt mehr und mehr, ob es sie tatsächlich gegeben hat. …