In den frühen Neunzigern kletterten die lateinamerikanischen Länder auf der europäischen Beliebtheitsskala nach oben. Mexikanische Bars, Samba-Festivals und Salsamusik brachten exotisches Flair nach Europa.
Atemberaubende Sambarhythmen, heißblütige Frauen und trickreicher Fußball stehen seit jeher für die längst zum Mythos gewordene brasilianische Lebensfreude. Brasiliens Charme offenbart sich aber auch in den raffinierten Menschen, die sich mit Erfindungsreichtum aus mißlichen Lagen zu schlängeln verstehen. Kein Wunder, schließlich ist Gott Brasilianer! Das wußten Sie nicht?
Jeder Brasilianer wird es Ihnen ungefragt bestätigen und stolz auf die Christus-Statue verweisen, die ihre Arme schützend über Rio de Janeiro breitet. Daß Jesus den Favelas den Rücken zukehrt, bleibt gerne unerwähnt. Solche und andere Raffinessen machen sich im Leben wie im Fußball bezahlt. Allerdings nicht immer. Nur ungern erinnert man sich an das Jahr 1986, als die Hand Gottes dem Erzfeind Argentinien zum WM-Titel verhalf. Solche Irrtümer darf sich Gott nicht noch einmal erlauben!
Auch wirtschaftlich strebt Brasilien an die Spitze. Unbeeindruckt von globalen Wirtschaftskrisen und der sich im Lande verbreitenden Kriminalität und Korruption hat sich Brasilien zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht gemausert. Wenn Rio de Janeiro im Jahr 2016 Gastgeber der Olympischen Sommerspiele ist und Brasilien erneut in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit rückt, werden die Probleme des Landes für einige Wochen hinter den Fassaden des Spektakels verschwinden.
Diese, im Rest der Welt verbreitete, mythologisch verblendete Sicht, wird dem Land nicht gerecht. Mag der brasilianische Karneval auch als Inbegriff der Lebensfreude gelten; allein er dauert nur sechs Tage. An sechs Tagen im Jahr feiert das Volk, den Rest der Zeit wartet es auf die Gelegenheit. Gerade unter der armen Bevölkerung ist der Alltag nicht selten von Lethargie und Melancholie bestimmt.
Das gespaltene Land
Brasilien: Land der Gegensätze. Tiefe Gräben fressen sich durchs Land und spalten es in arm und reich. Obwohl sich Schwarze, Weiße, Gelbe und Rote längst zu einer farbenfrohen Rassenvielfalt vermischt haben, bestehen die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß fort. Und doch hat sich diese bunte Nation zu einer vereint, in der jeder Einzelne stolz darauf ist, Brasilianer zu sein. Das ist zwei großen Helden zu verdanken: dem Fußball und dem Samba.
Brasiliens Kultur hat mehr zu bieten als Karneval. Allein die Vielfalt der brasilianischen Musik sucht ihresgleichen. Der argentinische Tango wurde durch Carlos Sauras Film
Tango in Erinnerung gerufen. Wim Wenders' Film
Buena Vista Social Club hat die kubanische Musik zu weltweitem Erfolg geführt. Die brasilianische
Bossa Nova hat mithilfe Marcel Camus'
Orféu Negro in den sechziger Jahren zunächst Paris und dann den Rest der Welt erobert. Doch der Inbegriff südamerikanischer Musik, der brasilianische Samba, findet außerhalb Brasiliens nur im Rahmen des Karnevals Beachtung. Und damit wird man ihm nicht gerecht, denn er steht nicht nur für Freude, sondern eben auch für Traurigkeit. Indem er diese Gegensätze zu einen vermag, charakterisiert er das Land. Er ist verantwortlich für die Lebensfreude und zugleich für die Tristesse, die der oberflächliche Blick auf Brasilien so gerne übersieht. Die Bedeutung des Samba für das Volk geht weit über Musik und Tanz hinaus. Samba ist eine Lebensphilosophie.
Die Projekte der Contramão Film beschäftigen sich mit der brasilianischen Kultur und ihren Gegensätzen. Auf dieser Webseite erfahren Sie mehr darüber.