An der fehlenden Brille liegt es jedoch nicht, daß sich in seinem Leben kaum noch lichte Momente blicken lassen. Nachdem er seine Braut Neia einmal zu oft verprügelt hat ("Schlag deine Frau einmal in der Woche! Wenn du nicht weißt warum, ... sie weiß es!"), verschwand sie vor einigen Wochen, ohne daß er wüßte warum. Seitdem siecht er in Lethargie dahin und folgt den immergleichen Wegen, die tagtäglich gegangen werden müssen, um alles so zu belassen, wie es ist. Sie führen von der Bar Sergipe über die Bar Antonio zur Bar Bigode, und natürlich führen sie auf den
Praça da Sé. Dort nämlich, im Zentrum des Pelourinho, lungern seine "Amigos" herum – Freunde, die in Wirklichkeit keine sind. Auf dem Praça da Sé trifft man sich zum Warten: auf Gelegenheiten, auf Veränderung, oder auch auf nichts. Man kommt jeden Tag, weil, ja weil eben jeder jeden Tag kommt: Straßenhändler, Dosensammler, Bettler, Dealer, Diebe, Polizisten, selbsternannte Parkwächter, Huren unterster Kategorie und Krüppel, die ihr Schicksal für ein paar Centavos zur Schau stellen. Sie alle haben keine Funktion, außer die der Nutzlosigkeit. Sie sind Komparsen des Lebens, Figuren, die in dem Schauspiel, das sich Leben nennt, keine Rolle spielen. Jean nennt sie "Blumen, die man ungern riecht" (Flores que não se cheiram) und hat seine Autobiographie nach ihnen benannt, denn eine dieser Blumen ist er selbst.
Heute morgen ist Jean gut aufgelegt: Letzte Nacht ist Neia zurückgekehrt. Ausgerechnet an diesem glücklichen Morgen droht der Verwalter, Jean vor die Tür zu setzen, falls die rückständige Miete nicht bis zum Abend beglichen ist. Das Ultimatum und der Umstand, daß Gurundé Neia als Pfand behält, zwingen Jean zum Handeln. Er muß Gini finden. Gini ist sein Freund. Gini ist der Gitarrist seiner Band. Gini ist der Manager der Band. Gini ist Geschäftsmann, ein Edelsteinhändler. Gini hat Geld. Und nur Gini ist in der Lage, einen Auftritt der Band zu arrangieren. Allerdings ist Gini auch wenig erfreut, als Jean unangemeldet in seinem Laden aufkreuzt, zumal er einen Gestank verbreitet, der die noble Kundschaft vertreibt.
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